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Ein Weg zur FreiFrau

oder: ein bisschen innerfamiliäre Open Source Diversity. Auf den Chemnitzer Linuxtagen 2013 sprach ein Free Software Apologet, nämlich Reinhard Müller zum Thema „Mach dich Frei: Wie man die Welt rettet. Eine Kurzanleitung in 5 einfachen Schritten„. Gestern Abend ging es dann bei mir zu Hause zur Sache, beim Abendessen, mit meiner Frau. Genau dieses Vortrages wegen

Zugegeben, Reinhard hatte da einen Hardcore-Standpunkt vertreten. In freien demokratischen Gesellschaften müssten essentielle Infrastrukturen der Gemeinschaft gehören. Es könne nicht sein, dass sie in die Hohheit einzelner Firmen übergeben würden, die die Nutzer dann zu einem ihren Interessen gemäßen Verhalten zwingen. Und die IT sei exakt so eine essentielle Infrastruktur.

An diesem Punkt lag – unausgesprochen – eine Analogie in der Luft: Wir, der demokratische Souverän, hielte es doch gewiss für absurd, übergäbe man das deutsche Straßennetz der STRABAG und ließe diese z.B. festlegen, dass man auf deren Straßen nur noch Opel fahren dürfte – was uns nicht des Opels wegen absurd vorkäme. Aber ärgerlicherweise – so die Botschaft der Ausgangspunkt in dem Vortrag – nähmen wir, das Volk, analoge Versuche im IT Bereich völlig klaglos hin. Im Gegenteil, es gäbe den akzeptierten Hang zum „glücklichen Sklaven“.

Und was wäre – laut Reinhard Müller – der Ausweg aus dieser ‚selbstverschuldeten Unmündigkeit‘: Nun, man könne doch – erst mal jeder für sich – Schritt für Schritt sich seine je eigene wirklich freie IT-Infrastruktur ausformen. Das entscheidende Kriterium sei die Existenz von Alternativen. Und nach dem Simplify-Prinzip könnte sogar ganze Migrationsprojekte vorgehen, ohne zu scheitern, nämlich schlicht nach der Regel ‚vom Einfachen zum Komplexen‘:

  1. Nutze nur freie Kommunikationswege. Verzichte auf Medien, die an spezifische Firmen gebunden sind (kein Skype, kein Whatsapp, [lieber echtes Telefon und Join 😉 ])
  2. Nutze nur freie Datenformate. Verzichte auf Formate, die in ihrer Struktur unbekannt und an spezifische Firma gebunden sind (kein Kindle ,[lieber Tolino]),
  3. Nutze nur freie Anwendungen, um diese Daten zu lesen und/oder zu modifizieren (kein Acrobat, lieber evince).
  4. Nutze nur freie Betriebssysteme zum Betrieb dieser freien Anwendungen [kein Apple, lieber GNU-Linux]
  5. Sei ein freier selbstbestimmter (IT-)Mensch.

So weit, so gut oder schlecht. Ich wollte von Reinhard Müller dann wissen, wie ich so etwas meiner Frau nahebringen solle. Er müsse bei seinem Ratschlag allerdings berücksichtigen, dass meine Frau ihre eigenen schönen Kopf habe. Für sie müsse die Technik ohne Aufwand smooth funktionieren. Und schick müsse sie sein, die Technik – weshalb sie, meine Frau, bis jetzt im Apple-Biotop lebe. Und mit Moral brauche man ihr schon mal gar nicht zu kommen. Was also – so wollte ich wissen – solle ich da tun?

Na, – so Reinhard – meine Frau gehöre dann halt eben zu den „glücklichen Sklaven“. Er habe gar nix gegen glückliche Sklaven (auch wenn diese für die gefährlichsten Gegner der Freiheit halte), er wolle nur seinerseits nicht gezwungen werden, solch unfreie Sachen nutzen zu müssen. Vielleicht sei ja so ein Toleranzmodell auch bei mir innerfamiliär denkbar.

Tja, abends hab ich dann meiner Frau davon zu erzählt. Da ging’s aber ab:

Zum ersten hat sie mir um die Ohren gehauen, dass sie sehr wohl aus moralischen Gründen auf eine bessere Ästhetik verzichte. Ich bräuchte doch nur mal an den Austausch der Kaffeemaschine zu denken, weg von den umweltbelastenden Nespresso-Alu-Kapseln, hinzu normalen Bohnen in einer weniger schicken und umständlicheren Maschine. Wer etwas von ihr wolle, müsse ihr das eben einfach und nachvollziehbar erklären. Und genau das täten diese ganzen Open Source Gurus ja gerade nicht. Da sei immer alles so kompliziert, dramatisch und vielschichtig – und mühselig zu verstehen. Also wenn diese Open Source Community sie – meine Frau – gewinnen wolle, dann müsse sie – diese Community – sich schon etwas um sie – meine Frau – bemühen. Dann klappe das auch mit der Nachbarin.

Und dann immer wieder dieses abstoßende Gut-Und-Böse-Gehabe. Hier die guten Open Sourceler, da die „glücklichen Sklaven“, die entweder zu dumm seien, die Technik und die Konsequenzen zu begreifen, oder schlicht zu faul oder zu ignorant. Sie sei glücklich, aber keine Sklavin. Es sei ihr Recht, die Dinge einfach haben zu wollen. Sie dürfe die IT nutzen wollen, ohne zum Experten werden zu müssen. Ihr Leben habe einen anderen Sinn. Und sie sei nicht abhängig. Oder wenn, dann allenfalls in dem Sinne, wie sie von mir abhängig sei, ihrem Mann. Und daran wolle ich doch wohl hoffentlich nichts ändern.

Da hab ich dann – sehr, sehr vorsichtig – angemerkt, dass Amazon doch aber schon bestimme, welche Bücher sie zu lesen bekäme, wenn Amazon unter der Hand Versionen auch von schon gekauften Büchern austausche. Undschließlich gäbe da schon einen großen Unterschied zwischen Amazon und mir: Mich könne sie ersetzen, sie könne die Schlösser austauschen, ins Hotel ziehen oder meine Sachen vor die Tür stellen – und uneingeschränkt glücklich weiterleben. Amazon könne sie nicht vor die Tür setzen, ohne ihre ganzen Bücher zu verlieren. Und Apple auch nicht, ohne keine Musik mehr zu haben.

Das möge ja sein – meine Frau hielt weiterhin vehement dagegen -, nur bleibe es dann immer noch eine Frechheit, sie als „glückliche Sklavin“ zu deklassieren. Sie dürfe sich doch ihr Leben wohl so organisieren, wie sie es wolle – und zwar ohne dass selbsternannte Gutmenschen den Stab über sie brächen. Und wenn diese Open Source Weltverbesserer schon die Welt verbessern wollen, dann sei sie ja wohl ein Teil dieser Welt. Und durch Beschimpfungen und Herabwürdigungen anstelle von [energischer Unterton:] einfachen [sehr energischer Ton:] handlichen [sehr energischer Oberton:] Begründungen sei noch niemand vom Besseren überzeugt worden.

Wie eigentlich immer hatte ich auch gestern wieder den Eindruck, dass meine Frau die Sache auch richtig sähe und dass ich an meinem Standpunkt noch überabreiten müsse. Vielleicht sollte ich Reinhard das mal schreiben…

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